Oh du schöne Jugendzeit

Mögen die Götter wissen, wieso mich Lastwagen schon immer in Ihren Bann gezogen haben. Mit der Muttermilch eingesogen? Wohl kaum, aus solchen Kindern werden Ärzte, schlimmstenfalls Lehrer. In meiner Ahnenreihe gibt es nur Bauern. Das änderte sich erst mit meinem Vater, der zu der Plackerei keine Lust hatte und bei Heinrich Kiel in Kiel eine Lehre als Großhandelskaufmann begann. Allerdings war auch ihm schon eine gewisse Bewunderung eigen an allem, was sich auf der Straße bewegte. Das ging sogar so weit, dass sein Chef ihm sein neues Motorrad schenkte: eine Indian Der alte Heinrich Kiel war mit dem Gerät völlig überfordert, während mein Vater es wie ein Virtuose beherrschte. Während des Krieges war meinem Vater als Sanitäter ein Opel-Blitz zugeteilt. Als er dann aber von einem 20 m langen Lazarettbus erzählte, den er eine Zeit lang fuhr, hielt ich ihn schlicht und ergreifend für einen Aufschneider. Mit so einem Gefährt konnte man doch gar nicht um die Ecken kommen. Jahre später wurde ich dann eines Besseren belehrt, als ich erstmals Bilder der Gaubschat Omnibus-Gelenkzüge zu Gesicht bekam. Sie waren tatsächlich 20 m lang: Motorwagen und Anhänger waren mit einem Faltenbalg zu einer Einheit zusammengefügt. Es waren die Vorläufer der Gelenkbusse, die gegen Ende der 60er Jahre in vielen großen Städten Einzug hielten, um die Massen der Pendler zu bewältigen.

Eigentlich haben die Laster mein ganzes Leben gründlich versaut. Oder auch nicht? War es zunächst die Faszination des Krupp Mustang unseren Nachbarn Kurt Sinjen, das Grollen des unter der überschweren Last von Rüben oder Getreide gequälten Zweitakters? Waren es die Mercedes 66er des Getreidehändlers Peter Völkers, die sich den (heute kaum wahrnehmbaren) Anstieg zur Levensauer Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal im Schrittempo hinaufkämpften mit ihrer Rübenladung für die Zuckerfabrik in Schleswig? Oder war es eventuell auch der letzte noch im Fernverkehr sich abmühende 8000er Büssing von Nauke aus meiner Heimatstadt Kronshagen? Ich wünschte, ihr hättet so etwas noch erfahren können. Mir war es vergönnt, die letzten Hauber der Fünfziger noch im Einsatz zu erleben, zu hören, zu fühlen. Zwar kam zur Jahreswende 1959/1960 eine neue Generation Lastwagen in Frontlenkerbauweise auf den Markt, denn endlich hatte die Politik verbindliche Masse und Gewichte für die Fahrzeuge herausgegeben. Aber noch bis 1962/63 konnte man vereinzelt alten Haubern begegnen, die ihr Geld noch im Fernverkehr verdienen mussten, ehe der Austausch gegen die neue Generation erfolgte. Aber dann war beileibe noch nicht Schluß. Vielfach mussten die betagten Schwergewichte anschließend ihr Gnadenbrot im Nahverkehr erarbeiten. Bei der Spedition Adolf Claßen lief noch ein Mustang, Albert Lange hatte noch einen Faun Sepp unterwegs.
Die Mühle August Eckmann unterhielt noch einen Magirus 6500, ebenso die Großschlachterei Herbert Amos. Bei den Brunnenbauern Gebr. Leon war ein ehemaliger Fernverkehrs-Kaelble immer noch im täglichen Einsatz. Bei der Spedition Otto Holdmann schaffte noch mindestens einer der schweren MAN F8 oder 745 an. Der Abbruchunternehmer Konopka chauffierte noch einen Büssing 8000 und seine Frau einen ehemaligen Fernverkehrs-66er. Einen ganz erlesener Fuhrpark von abgehalfterten Büssing Haubern unterhielt Wilhelm Gnutzmann aus Bordesholm. So mancher Ferntransporter hat hier als Kipper sein Gnadenbrot verdienen müssen. Als der Vorreiter der Discountläden in Norddeutschland – Werner Schulze aus Kiel – ca. 1965 in sein Verkaufsprogramm Obst und Gemüse mit aufnahm und über seine WESKA-Märkte vertrieb, schaffte er dafür zwei gebrauchte Mercedes L315 Hauber an, die täglich vom Hamburger Großmarkt die Ware abholten. Beide Planzüge hatten Wackenhut Sonderkabinen und jeweils einen zwillingsbereiften Zweiachs-Anhänger.

Das war jetzt nur eine eher unvollständige Aufzählung der in Kiel beheimateten ehemaligen schweren Ferntransporter mit langer Haube. Sie waren zum „Aufrauchen“ im Nahverkehr gerade noch gut genug. Die Wirklichkeit forderte von den Fernverkehrsunternehmern jedoch mit Einführung der neuen Masse und Gewichte im Jahr 1960 den Einsatz moderner Frontlenkerzüge, die mit 16 + 16 = 32 t Gesamtgewicht eine Nutzlast von 20 t befördern konnten. Zudem wurden dank der neu vorgeschriebenen 6 PS pro Tonne die Motoren stärker, die Übersetzungen konnten verändert werden und während die alten Hauber noch mit maximal 65 km/h daherkamen, liefen die neuen Frontlenker nun immerhin schon mit einer Reisegeschwindigkeit von 80 km/h.

Jede Gelegenheit, die sich bot, um mit einem LKW mitzufahren, nutzte ich aus. Im Kipperbetrieb hatten die Haubenwagen immer noch die Nase vorn. Bei Heinrich Karstens war eine Flotte von Mercedes L 315 im Einsatz, bei Sönnichsen & Görtz liefen Saturn und Pluto Dreiachser, allerdings auch einige ungeliebte Tatra., Bei Gebr. Clausen schwor man auf Magirus Hauber wie auch bei Fr. Jürgensen, Otti Plühs hatte einen Büssing Commodore S Kipperzug, sein Vater einen sehr schönen Henschel H 140, ja selbst die kleinen Borgward Kipper von Ernst Hintz mussten herhalten, wenn mich die Begierde packte, mit einem Laster mitzufahren.

Wir wohnten damals in Kronshagen, einem Ort direkt an der Stadtgrenze zu Kiel gelegen. Mein Vater hatte dort 1953 ein stattliches Lokal mit Tanzsaal, Kegelbahn und einem großen Kaffeegarten erworben, bekannt unter dem Namen „Bruno‘s Lust“. Seit den Zwanziger Jahren war es ein bevorzugtes Ausflugslokal der Kieler Bürger gewesen, dann jedoch verwahrlost. Mit viel Geschick gelang es meinen Eltern, mit rauschenden Festen und Tanzvergnügen den alten Ruf wieder herzustellen. Nun war Kiel eine Universitätsstadt und somit war der Bedarf an Studentenbuden enorm. Also ließ der Alte den kompletten Boden des hinteren Haustraktes ausbauen. Es entstanden sieben Fremdenzimmer für die Vermietung. Im Zuge dieser Veränderung bekam ich mein Zimmer nun im ersten Stock über dem Schankraum mit direkter Aussicht auf die Dorfstraße. In diese wiederum mündete rechts der Weg nach Hasseldieksdamm (heute Claus-Sinjen-Straße) und links kam die kleine Allee von der Domäne herab, einer ehemaligen Gutsanlage.

Direkt an der Ecke zur Kieler Straße war bei uns ein Fuhrmann beheimatet, der einen recht netten Wagenpark unterhielt. Es gab einen kleinen Mercedes L 319 Viehwagen, dann waren zwei Henschel HS 120 mit zwillingsbereiften 12-t-Anhängern im Einsatz, die ebenfalls für Viehtransporte eingesetzt wurden. Während der Getreide- und Rübenernte jedoch wurden die oberen Seitenklappen herausgenommen – die Viehrampe am Heck blieb stehen – und es ging zum Einsatz in die Landwirtschaft. Als der bereits erwähnte Nauke dann zu Beginn der 60er Jahre sein Geschäft an den Nagel hängte, landete auch sein Büssing 8000 mit dem zum langen Zweiachser umgebauten Anhänger im Fuhrpark von eben jenem unserem Nachbarn Kurt Sinjen. Ohne Plane und Spriegelgestell war er ausschließlich für die Ernte vorgesehen. Schon nach einem Jahr wurde er jedoch ersetzt – durch einen alten Krupp Mustang. Welch eine Faszination, dem Klang des Zweitaktmotors zu lauschen, wenn der Zug vom Hof rollte. Das war nun doch eine ganz andere Klasse – da musste ich unbedingt mit.

Warum ich so früh wach wurde, weiß ich nicht zu sagen. Es war ein trockener Herbsttag noch vor 6 Uhr morgens, die Straßen menschenleer. Zuerst konnte ich nur ein dumpfes Brummen hören –der Mustang – schoss es mir durch den Kopf. Blitzschnell sprang ich aus meinem Bett, Fenster aufgerissen: Richtig, da kam er die minimal abfallende kleine Zufahrt von der Domäne herunter. Die mörderische Rübenlast drückte gegen den zweiten Gang, der den Zug hielt und ließ das Roots-Gebläse wummern. Zum Glück stand mein neues Grundig Tonband noch bereit, mit dem ich am Abend vorher „Peter’s Bastelstunde“ aufgenommen hatte. Aufnahme an, Mikrofon raus aus dem Fenster, der Zug hatte die Einmündung zur Hauptstraße erreicht, schwenkte rechts ein, bedenklich neigte sich der gesamte Lastzug nach links, die gut 25 Tonnen Zuckerrüben drückten Motorwagen und Anhänger gnadenlos in die Federn, fast dass die Räder an den Kotflügeln schliffen. (Nur zum besseren Verständnis die offizielle Zuladung für Mustang 7 Tonnen, für den Anhänger 12 Tonnen). Das war der letzte Eindruck, dann war der Zug aus meinem Blickfeld verschwunden. Aber hören konnte ich ihn noch – und wie! Nun begann das Inferno. Wolfgang Karstens gab seinem Mustang die Sporen. Aber da schoss nichts nach vorn. Mit infernalischem Gebrüll versuchten die 150 PS, das gnadenlos überladene Gefährt in Schwung zu bringen. Der unerbittliche Kampf um jede Umdrehung ließ das Gespann nur langsam beschleunigen. Dann Höchstdrehzahl erreicht – dritter Gang – und wieder kämpfte sich der Motor unheimlich qualvoll aber unerbittlich wie ein Stier von unten heraus auf die Abregeldrehzahl. Umdrehung für Umdrehung musste er sich bitter erkämpfen. Kurz vor dem Bahnübergang, der etwa einen Kilometer entfernt lag, dann Gangwechsel in den Vierten, dann kamen die Schienen, vom Gas, zurückschalten. Dann entschwand er aus meiner Hörweite. Keine anderen Geräusche hatten die Aufnahme gestört, kein Auto, kein Bus. Ich war wie vom Donner gerührt. Wie oft habe ich diese Sequenz gehört. Leider hat sie die Zeiten nicht überlebt.

Fürderhin war nun all mein Streben darauf gerichtet, den Mustang zu entern. Ich musste unbedingt eine Tour mitfahren, musste diese „Musik“ hautnah genießen, wollte diesen Kampf ganz unmittelbar erleben. Es galt schnell zu handeln. Die Herbstferien standen direkt vor der Tür. Also spannte ich meinen Alten vor die Karre, der beim dienstäglichen Skat mit Kurt Sinjen die Möglichkeiten einer Mitfahrgelegenheit ausloten sollte. Die Aktion war mit Erfolg gekrönt.

Gleich zu Beginn der kommenden Woche kam die Order: Morgen früh um halb sieben auf dem kleinen Bauernhof an dem Weg zum Hasseldieksdammer Gehölz zusteigen. Das war noch nicht mal einen Kilometer von unserer Kneipe entfernt. Nach einer durchwachten Nacht erschien ich mit einer Tüte Bonscher bewaffnet pünktlich auf dem Hof. Der Mustang Zug war schnurgerade rückwärts eingeparkt, die Beladung fast abgeschlossen. Auf Motorwagen und Anhänger türmten sich die Rübenberge. Nur ein kleiner Haufen war noch von der ursprünglichen Miete übrig und wurde von 5 Helfern mit der zweizinkigen Gabel aufgestaakt und auf den Anhänger geworfen. Dann hieß es: Aufsitzen! Nun also sollte es losgehen. Ich konnte es kaum erwarten, flitzte zur Beifahrertür und rutschte auf die Sitzbank. Meinen Proviant, die Tüte Bonscher legte ich auf den Klapptisch vor mir und betrachtete fasziniert das reichhaltig bestückte Armaturenbrett mit den vielen runden Instrumenten und den unzähligen weißen Schaltern. Dann ging die Fahrertür auf und Wolfgang Karstens nahm hinter dem riesigen Volant seinen Platz ein, zünftig bekleidet mit blauem Troyer, brauner Hose und schwerer Weste aus feinstem Manchester-Cord. Die 20-Tonnen Mütze verwegen schief auf dem wallenden Haupthaar. Der linke Klodeckel umschloss das Lenkrad, der rechte schob den Bosch-Knochen ins Zündschloss, der Daumen suchte den Startknopf und der Motor setzte mit dumpfem Grollen ein. Während Wolfgang Karstens eine Tachoscheibe aus dem Paket nahm und beschriftete, füllten sich die Kessel der Bremsanlage mit Luft.

Scheibe in den Tacho eingelegt, die Hand greift zur Zigarettenschachtel auf der Fensterablage, klopft eine „Ernte 23“ heraus, ein Streichholz flammt auf und steckt sie an. “Na, Magst ook eene schmöken?“ „…“ Die Fluppe im rechten Mundwinkel tritt der linke Fuß das Kupplungspedal gegen das Bodenblech – wie schön das Ausrücklager rasselt – die linke Hand umfasst den Schalthebel, schiebt ihn nach vorn in den Ersten und mit einem leichten Ruck setzt sich der Zug in Bewegung. Links runter vom Hof; die wenigen Meter bis zur Hauptstraße fahren wir im Zweiten. Ächzend schiebt sich der geschundene Lastzug durch die Schlaglöcher der vorgelagerten Buskehre an der Einmündung und dann haben wir die Kieler Straße erreicht. Die letzte Achse des Anhängers hat nun auch festen Boden unter den Füßen, jetzt gibt Wolfgang Gas. Wie schwerfällig sich das Gefährt nach vorn schiebt, immer lauter brüllt der Zweitakter, dann Gangwechsel und wieder beginnt der Motor aus dem Keller heraus mit unbändiger Wut den gnadenlos überladenen Zug voranzutreiben, langsam aber sicher erreicht er die Höchstdrehzahl – vierter Gang – und wieder beginnt dasselbe Spiel. Dann ist der Bahnübergang vor uns, Gas weg, der Gang bremst den Schub ab, das Roots-Gebläse brummt, zurückschalten in den Dritten und der Mustang holpert über die Schienen, die Federkerne in den Sitzpolstern knackeln, dann wieder Gas. Aber schon wenig später biegen wir links in die Kopperpahler Allee ein. Wieder setzt die Beschleunigung ein. Der Zweitakter kämpft verbissen, sein gefährliches Grollen wird von den Häusern zurückgeworfen. Schließlich haben wir die Eckernförder Straße erreicht. Den sechsten Gang haben wir bisher noch nicht gebraucht. Die breite Ausfallstraße jedoch erlaubt eine zügige Fahrt und so streben wir behäbig aber stetig dem Kaiser-Wilhelm-Kanal zu. Mit langen weichen Federstößen zeigt der Mustang immer wieder, wie knackig er geladen ist. Dann beginnt der Anstieg zur Levensauer Hochbrücke, die in 42 m Höhe den Nord-Ostsee-Kanal überspannt. Es beginnt mit einer langen Rechtskurve, also ist es nichts mit Schwung holen. Wir verlieren rapide an Fahrt. Immer schneller muss Wolfgang herunterschalten: Kupplung – Zwischengas - Kupplung, der Schalthebel fliegt nur so von Gang zu Gang, bis wir uns im Zweiten schließlich auf die Brücke quälen. Kurzes Aufatmen für Gefährt und Fahrer, als wir durch die kühn geschwungenen Stahlbögen rollen, dann geht es auf der anderen Seite wieder herunter. Immer schön langsam und mit dem kleinen Gang bremsen, damit der Druckluftvorrat für die Bremse nicht ausgeht oder die Bremsen gar heiß laufen. Zuerst kommt eine lange Linkskurve und am Fuß des Gefälles an der „Schweinsgeige“ (altes Gasthaus) dann geht es einigermaßen eng rechts rum, unter die Bahnunterführung durch und dann haben wir freies Schussfeld. Behäbig klettert die Tachonadel auf 65 km/h – volle Kraft voraus. Wir durchfahren Gettorf und beim „Grünen Jäger“ geht es in die Berge. Die alte B 76 schlängelt sich hier auf sanften Hügeln durch das Schnellmarker Holz, bis sie bei „Kiekut“ die Eckernförder Bucht erreicht. (Anlässlich der „Tour 63“ wird hier im nächsten Jahr eines der Vorführfahrzeuge der Scania-Vabis- Kolonne – ein L 76 Super – beim Abstieg zu „Kiekut“ die Böschung herunterstürzen). Wir durchfahren Eckernförde, erreichen Fleckeby und gehen mit Schwung in die lange Steigung nach Güby, die dem Mustang wieder alle Reserven entlockt. Im Schritttempo erreichen wir die Kuppe. Zwei Viehwagen stehen hier vor dem alten Gasthof, der gern mal für eine kurze Stärkung angefahren wird. Aber wir müssen weiter, der Tag verlangt nach Eile. Kurz nach der alten Wikinger-Siedlung Haithabu fahren wir in das Stadtgebiet von Schleswig ein. Wir schlängeln uns um die Schlei herum und noch einmal wird dem Mustang alles abverlangt. Es geht die Flensburger Straße hinauf. Das Kopfsteinpflaster schüttelt uns kräftig durch und der ganze Zug ächzt mächtig in den Federn. Aber der Mustang behauptet sich tapfer, meistert auch diese Hürde. Nun noch rechts ab aus der Stadt hinaus, am Schlachthof und der „Butter und Eierzentrale Nordmark“ vorbei, schließlich rechts rein in die Zuckerstraße. Es ist vollbracht, wir sind angekommen und reihen uns in die lange Schlange der schmutziggrauen Lastzüge ein, die schon weit vor dem Tor der Zuckerfabrik stehen und auf die Entladung warten. Noch muss der Motor etwas nachlaufen, um der Temperatur Herr zu werden. Dann klinkt Wolfgang das Gaspedal aus, das Grummeln erstirbt, welch eine Ruhe. Es ist Zeit genug, um ein wenig mit den Kollegen zu fachsimpeln. Ich gehe noch mal um den Lastzug herum. Der Mustang steckt leicht die Nase nach oben, die Hinterachse hat kaum noch Luft zwischen den Reifen und den eigentlich roten Kotflügeln. Die Farbe ist kaum noch zu erkennen. Auch Rahmen, der große Tank und die Felgen sind einheitlich grau und selbst der grüne Pritschenaufbau schimmert nur noch schwach unter der grauen Schmutzdecke heraus. Ebenso verdreckt sieht der zwillingsbereifte Zweiachsanhänger aus. Auch ihm kann man die aufgebürdete Last deutlich ansehen. Wie tief er liegt. Ich finde, ich sollte mal die Rücklichter sauber wischen. Man muss wissen, dass damals durchaus nicht am Feldrand geladen wurde. Bei großen Schlägen ging es rein in den Morast. Da erübrigt sich die Wäsche zwischendurch. Gewaschen wird, wenn die Kampagne zu Ende ist.

Durch stetes Vorrücken erreichen wir schließlich die Waage. Die erlaubten 31,5 Tonnen Zuggesamtgewicht haben wir locker geknackt: 37,2 Tonnen. Das waren dann 24,7 Tonnen Zuckerrüben, die wir nach Schleswig geschleppt haben. Es wird eine Probe gezogen, dann geht es weiter zur Entladung. Wir stellen uns in der Reihe der Lastzüge an, die auf das Abspritzen warten. Der Zug wird an die Gosse herangefahren, Klappen auf und schnell in Deckung, denn nun werden die Zuckerrüben mit einer Wasserkanone von der Pritsche gespült. Es gibt auch die Möglichkeit, auf einer Kipprampe zu entladen. Eine gibt es für die Waggonentladung und eine weitere, auf der die LKWs rückwärts gekippt werden. Dazu muss allerdings der Anhänger abgehängt werden , der auf einer dritten Bühne ebenfalls rückwärts gekippt wird. Etwas umständlich, aber zumeist ist die Warteschlange nicht so lang. So, die Sandreste von den Kanten gewischt, Klappen wieder zu, Spannketten eingehängt und dann vorfahren zur Kantine. Jetzt ist erstmal eine kleine Stärkung gefällig, Bockwurst und zum Nachspülen eine Bierknolle. Zur Tasse Kaffee dann noch genüsslich eine „Ernte“, dann geht es auf zur zweiten Tour.

Es geht zurück durch Schleswig über Rendsburg und weiter Richtung Kiel. Wir sollen auf einem Feld laden, welches zum Gut Neu Nordsee gehört. Glücklicherweise ist die Miete direkt am Feldrand gelagert. Wolfgang schiebt rückwärts von der Hauptstraße in den kleinen Feldweg. Die Rüben werden mit einem Hanomag Radlader auf dem Zug verteilt. Das geht natürlich recht zügig, dennoch bleibt genügend Gelegenheit zu einem netten Plausch. Auch das gehört dazu, ist doch die Bevölkerung auf dem Lande immer begierig, Neuigkeiten aus der „großen Stadt“ zu erfahren. Dann heißt es wieder: Einsteigen. Ein Daumendruck und zuverlässig setzt der Zweitakter grummelnd ein, drückt der Kompressor die Druckluft in die Kessel. Man eben noch ´n Schluck Kaffee ut’n Thermos, dann Kupplung, Gang rein, Kupplung, Gas und im Schritttempo ruckelt sich der Zug zur Hauptstraße. Alles frei, links rum und Feuer! Wieder bäumen sich die 150 Pferde auf, um die drückende Fracht ins Rollen zu bringen. Der Kampf der Gewalten nimmt seinen Lauf: Mit infernalischen Gebrüll reißt der Mustang die tonnenschwere Last voran. Unaufhaltsam, immer weiter, immer schneller. Dritter, Vierter, Fünfter schließlich, nach schier unendlichem Kampf ist der Sechste erreicht. Weich einfedernd zieht der Mustang seine Bahn. Bredenbek, Bovenau ziehen vorbei. In Ostenfeld passieren wir den Hof von Heinrich Steenwerth. Die Baustellenkipper sind auf dem Hof, die Rübenzüge natürlich auf Achse, um die kurze Zeit de Geldverdienens zu nutzen. Kurze Verschnaufpause an der Fähre Nobiskrug, die uns über den Nord-Ostsee-Kanal bringen wird. Beim Auffahren neigt sie sich bedächtig zur Seite. 42 Tonnen darf sie tragen. Davon bringen wir diesmal allein schon gute 34 Tonnen mit. Es geht durch Rendsburg über die B77 vorbei an der stark von dänischen Fahrensmännern frequentierten Kneipe „Hotel zur Linde“ weiter nach Schleswig. Unaufhaltsam nähern wir uns unserem Ziel. Dann heißt es wieder einreihen in die lange Schlange der Lastzüge: Warten, vorziehen, warten, wiegen und schließlich kann sich der Mustang seiner quälenden Last entledigen.

Es ist fast 20 Uhr, als wir schließlich wieder in Kronshagen auf den Hof rollen. Gas ausklinken, der Motor erstirbt. Wolfgang zieht seine Aktentasche mit der Brotdose und der Thermosbuddel aus dem Schwalbennest hervor: Feierabend. Behäbig steigt er aus dem Führerhaus, knallt die Tür zu. Wir verabschieden uns. Mit gebeugtem Rücken strebt er seiner Wohnung zu, die 20-Tonnen-Mütze weit in den Nacken geschoben, mit rudernden Klodeckeln. Auch ich mache mich auf den Heimweg mehr hüpfend als gehend. So ein ereignisreicher Tag will ja erst einmal verdaut werden. Erst einmal muss ich lang und breit zu Hause von diesem wunderschönen Tag erzählen. Kann man das überhaupt in Worte fassen? Kann man das jemandem nahe bringen, der einem eher erstaunt und ungläubig dreinblickend gegenüber sitzt? Kann man Geräusche mit Worten hörbar machen? Naja, entgegen meinen Befürchtungen fielen mir schon ziemlich schnell die Augen zu. Das dumpfe Grollen des Mustang sang mich in den Schlaf.

Nun war Wolfgang Karstens nicht gerade ein sehr weltoffener Mensch und auch nicht unbedingt mitteilsam – wenigstens nicht gegenüber irgendwelchen jugendlichen Beifahrern. So blieb es trotz aller Faszination für den Mustang bei dieser einen Reise. Aber das Thema „Rüben fahren“ hatte es mir schon angetan. Fürderhin sann ich also nach neuen Kontakten. Ich ging damals in Kiel zur Schule. Hin- und Rückweg wurden mit dem Fahrrad absolviert – bis auf wenige Wintertage, wenn es das Wetter gar zu heftig meinte. Dann versuchte ich immer möglichst mit einem der zwei noch verbliebenen Mercedes Busse O6600 H der Kieler Verkehrs AG den Heimweg anzutreten. Diese meine Lieblingsbusse, die letzten übrig gebliebenen Riesen, verkehrten auf einer Überlandlinie zwischen dem Kieler Hauptbahnhof und der Fähre Landwehr, einem Ort, der noch hinter Kronshagen gelegen war. Beförderung nach Kronshagen war ausgeschlossen. Aber wenn Werner Hamer oder der immer zu Scherzen aufgelegte „Seppl“ am Volant saßen, konnte ich mitfahren und auf der Rückbank dem wunderschönen Klang des 66er Motors lauschen oder, wenn der Platz hinter dem Fahrer frei war, einen kleinen Schwatz halten, das wunderschöne weiße Lenkrad mit dem Blinkerkranz bewundern und die Leuchten auf der Ganganzeige des elektrisch geschalteten Getriebes hin- und herwandern sehen.

Mit dem Fahrrad war es ein Katzensprung von der Schule hinunter zur „Hörn“, der Kieler Förde. Hier lagen die Hafenschlepper und vom Bahnhofskai fuhren die Fördedampfer immer im Zick-Zack-Kurs über die Förde bis nach Laboe. Es folgte der heute noch existierende Eckmann-Speicher, wo eigentlich immer einer der Magirus Hauber anzutreffen war. Wo heute der Schwedenkai sich ausbreitet, war früher der Bootshafen mit alten Kränen, die teils noch zum Be- oder Entladen von kleinen Frachtkähnen genutzt wurden. Es schloss sich der Speicher der Firma Sartori & Berger an, wo es bisweilen schon mal große Laster zu bestaunen gab. Daneben war das Getreidesilo der Firma Peter Völckers (heute Sell-Speicher). Im Anschluss daran steht die schöne alte Fischauktionshalle (heute Schiffahrtsmuseum) und dann das Highlight jedes sonntäglichen Ausflugs: der 1961 neu eröffnete Oslokai, der zu jeder Ankunft und Abfahrt der Norwegen-Fähre eine Menge bunter Lastwagen anlockte, die den Duft von Öl und Diesel aber auch von Ferne und Abenteuer mit sich brachten. Welch ein Sehnen packte da das kleine vom täglichen Schulkampf geschundene Herz beim Anblick dieser weit gereisten schwer geladenen Züge.

Aber zunächst galt es, eine Mitfahrgelegenheit zu finden, die ein nicht allzu langes Fernbleiben ermöglichen sollte. Da waren die Getreide- und Rübentransporte genau richtig, die ja doch mehr im schleswig-holsteinischen Umland geladen wurden. Bei Peter Völckers waren neben einem 5000er Mercedes mindestens noch ein halbes Dutzend Mercedes 66er Haubenwagen unter Feuer. Dazu zwei Unimogs, denen die Sechzehntonner Anhänger bisweilen schwer zu schaffen machten und mehrfach mussten sie schon mal nach einer zu rasanten Kurvenfahrt wieder auf die Beine gestellt werden. Aber es gab auch zwei moderne Wagen. Damals stand mir eher danach der Sinn. Es gab einen MAN 10.210 Frontlenker, den Arthur R. fuhr, aber noch interessanter war der Mercedes LP 334 mit Schwalbennest. Der Chauffeur hieß Charly Hansen, ein ausgesprochen sympathischer junger Mann, der auch meinem Ansinnen auf gelegentliche Begleitung durchaus offen gegenüber stand. Glück gehabt: Empfand ich doch den 334 damals wie heute schon vom äußeren Erscheinungsbild her als ausgesprochen schön, so wurde dieser Eindruck durch den von Wackenhut sehr elegant gestalteten Innenraum mit dunkelrotem Kunstleder und hellgelben Lochplatten noch verstärkt. Zudem hatte ich einen neuen Freund gefunden, der diesen tollen Wagen chauffieren durfte, mit dem man sich prächtig unterhalten konnte.

Was haben wir für schöne Fahrten gemacht durch Schwansen oder durch Ostholstein. Wir fuhren fast immer zu irgendwelchen großen Hofstellen oder auf die Güter, um loses Getreide zu holen. Damals waren die üblichen Fahrzeuge für diese Art Transporte noch normale Pritschenwagen. Damit das Korn nicht durch die Ritzen herauslief, wurden sogenannte Getreidelaken eingehängt. Das sind Planen, die mit Haken über die Klappen gehängt werden und etwas über den Fußboden reichen. Dann wird unter dem Rohrauslauf des Kornspeichers geladen. Mit der breiten Getreideschaufel wird dann der Strahl des Korns in die Ecken gelenkt, um eine gleichmässige Verteilung zu erreichen. Dann kam meine große Stunde, auf die ich immer schon begierig gewartet hatte: „Klaus, zieh mal ‚n Stück vor.“ Also geschwind vom Wagen heruntergeklettert, rein ins Führerhaus, Motor anwerfen, Kupplung, Gang rein und los. Oh, welch ein Hochgefühl! Leider nur zu kurz. Etwas länger schon, wenn der 16-Tonner Vidal Hänger zur Beladung dran war. Naja, schon bald wurde es mehr; es ging schon mal über den Gutshof oder über die Koppeln: Nicht gerade König der Landstraße, aber König der Stoppeln, so fühlte ich mich. Spannend war dann das Entladen, welches am Lagersilo in Kiel mittels einer Kippbühne erfolgte. Der LKW oder Anhänger wurde an die Gosse gefahren, dann wurden die Spannketten gelöst, die Klappenhaken mit dem Hammer aufgeschlagen und dann donnerten die Bordwände durch den Druck des Getreides auf. Da war es gut, die Knochen nicht in Reichweite zu haben. Sodann wurde der komplette LKW mit der Bühne seitwärts gekippt, so dass das Getreide in die Gosse fließen konnte, von wo es mittels einer Schnecke in die Lagersilos befördert wurde. Erst später wurde begonnen, Kornklappen zum Entlasten der Bordwände einzubauen, um diese gefährliche Prozedur zu entschärfen.

Ab Herbst ging es in die Rüben. Wir sollten auf dem Gut Waterneverstorf bei Lütjenburg laden. Schon die Anfahrt über die komplett vom Eisregen gebeutelte Bundesstraße war eine Herausforderung. Der Zug rutschte immer wieder gegen die Grasnabe am rechten Fahrbahnrand. Aber schließlich kamen wir doch heil an. Die Rübenmiete lag mitten auf einem riesigen aufgewühlten Acker. Sie kamen mir zwei Raupenschleppern, um den kompletten Zug im Leerzustand bis zur Miete zu ziehen – es waren mindestens 500 m, wahrscheinlich gar noch mehr. Dann wurde der Anhänger abgekuppelt, beladen und die beiden Raupenschlepper verschwanden mit ihm zum befestigten Gutshof. Zwischenzeitlich wurde der Motorwagen beladen. Bis zu den Achsen stand er im Matsch, die Lehmklumpen hingen noch an den Reifen, da konnte einem elend werden. An Aussteigen war nicht zu denken. Die Schuhe wären im Lehm stecken geblieben, als wenn es Kleistermasse wäre. Dann kamen die Raupenschlepper wieder. Es wurde angehängt und mit vereinten Kräften ging es Richtung Straße. Leider kamen wir zu nahe an einem Wasserloch vorbei – einem ehemaligen Bombentrichter. Der 334 neigte sich ganz bedenklich nach rechts, drohte zu kippen und war schließlich fest – nichts ging mehr. Also wurde die komplette Rübenladung wieder abgeladen, der Mercedes freigeschleppt und wieder neu beladen. Als wir endlich wieder festen Boden unter den Rädern hatten, hätte man beim Anblick des Autos heulen können. Felgen waren gar nicht mehr zu erkennen, alles war voll mit dem lehmigen Boden. Das Gröbste wurde abgespritzt, dann ging es los nach Schleswig.

Auf einer anderen Tour – wir hatten auf Gut Dorotheental geladen – kämpften wir uns gerade die schmale Teerzuwegung zur Hauptstraße entlang, da brach die vom Regen unterspülte Straße unter der Last des schwer geladenen Zuges ab und wir rutschten mit dem gesamten Geschiebe in den Graben – Halleluja. Tja, es ging durchaus nicht immer alles glatt.

Das Schicksal wollte es, dass in eines unserer Fremdenzimmer ein gewisser Christian Brammer einzog, seines Zeichens Kraftfahrer bei unserem Nachbarn Kurt Sinjen. Dort fuhr er einen der beiden 120er Henschel. So hatte ich bisweilen Gelegenheit, auch auf diesem Wagen meine Fahrkünste zu erproben. Es war an einem Sonntag im Spätsommer. Meine Oma hatte ihren neunzigsten Geburtstag und die ganze bäuerliche Sippschaft war angerückt, um ihr die Ehre zu erweisen, die ihr als „Grande Dame“ zustand. Man saß zu Tisch bei Kaffee und Kuchen. Da hörte ich draußen auf der Dorfstraße den Henschel. Ein Blick aus dem Fenster gab Gewissheit: Krischan war ausgestiegen und auf dem Weg zu seiner Kammer, um irgendetwas zu holen. Unbemerkt konnte ich die Tafel verlassen und fing Krischan ab: „Krischan, wo willst du den op los?“ „ Ick schall naa Gut Quarnbek und ‚n Tour Getreide holen.“ ….und suche uns nicht in der Unterführung… (oder umgekehrt), der Teufel lauert doch überall. Es sind ja nur 12 Kilometer, da fällt es gar nicht auf, wenn du einen Moment fort bist. Ha, der Gedanke, dass ich wieder auf der Koppel rumkutschieren könnte, lähmte meinen Verstand. „Ick kom man eben mit di mit.“ Und das Wetter war viel zu sonnig, um in der Stube zu hocken. Und die Runden über die Stoppeln waren so unendlich schön. Ganz gelöst stieg ich nach getaner Arbeit zu Hause wieder aus, erfüllt von dem soeben Erlebten – und dann kam das Donnerwetter. Der Alte kriegte mich beim Kopp und ich machte eine tüchtige Schietreise, wie man bei uns so sagt. Geht eben durchaus nicht immer alles glatt.

Aber der Sinn stand nach der Ferne, der Enge des täglichen Einerlei (Schule) zu entkommen, die vermeintliche Freiheit zu kosten, die das Leben des Fernfahrers so faszinierend machte. Jedenfalls war es in den Fünfzigern so, auch in den Sechzigern setzte es sich noch fort, jedoch mit abnehmender Tendenz. Die Erkenntnis, dass Alkoholkonsum die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen kann, führte zu vermehrten Kontrollen, so wurden auch die „Feste“ unterwegs weniger. Das Ansehen der Fernfahrer, die zuvor als willkommene Informanten über die Situation in den anderen Ländern der Republik geschätzt waren und gern über die Gepflogenheiten ferner Länder zu berichten wussten, wurde durch das populär werdende Fernsehen heftig geschmälert. Der Fernfahrer als stets präsenter Helfer der Polizei bei Unfällen und als rettender Engel für so manchen Pannenwichtel wurde dank der negativen Propaganda aus Regierungskreisen schon bald zum Sündenbock für alles, was nicht glatt laufen wollte.

Dank unermüdlichen Drängens durfte ich mich dann als Butscher endlich bei Erich Jacks vorstellen, einem Fernverkehrsunternehmer mit drei Thermoszügen auf Krupp LF 901 (dem Laien sei es gern erklärt: grollende, wütende Zweitakter). Dort verbrachte ich meine Jugend mit Ölwechseln, Abschmieren, Federn und Reifen wechseln, Zugösen ausbuchsen, Bier saufen und natürlich auf dem Bock als Jungspund, aber gern gesehener Beifahrer, Einweiser, ja letztendlich sogar Lehrmeister für die „Neuen“.

Mein „Ausbilder“ war Horst Lehmann, ein wahrer Meister seines Fachs, wenngleich auch sonst nicht gerade ein einfacher Herr der drei Ringe. Er war immer zu Späßen aufgelegt – je derber desto besser – aber bloß nie zu seinen Lasten. Dann war es mit dem Spaß ganz schnell vorbei. Es galt, immer aufmerksam zu beobachten, was wie gemacht werden musste. Erklärungen gab es nicht, aber man musste trotzdem wissen, worauf es ankam, sonst war „der Bock fett“ und es konnte schon mal eine Abreibung geben. Viele Male schwor ich ihm, nie wieder mit ihm mitzufahren, wenn es wieder gar zu heftig wurde. Und trotzdem war ich immer wieder zur Stelle. Trotz aller Härte zollte ich ihm Bewunderung und Respekt. Und schließlich gab es auch immer wieder viel Spaß und so manches Vergnügen unterwegs, welches die schweren Momente schnell vergessen ließ.

Unser Zug war eine Augenweide: Der Motorwagen war ein Krupp LF 901 mit Köhler Thermosaufbau und einem zeitgemäßen 16-Tonner Thermosanhänger ebenfalls von Köhler Elmshorn, beides schon in Segmentbauweise gefertigt mit Fleischaufhängung. Der Zug war immer schnieke sauber. Gewaschen wurde er fast täglich. Die lange Bürste, Eimer und Schwamm waren immer am Wagen, ebenso jeweils ein Pott mit Farbe: blau, rot und elfenbein. Horst wusch immer das Führerhaus und die Koffer, während er mir gern die Räder und das Chassis überließ. Dann tropfte mir ja schließlich das Wasser in den Nacken. Zum Wochenende, nachdem samstags noch auf dem Schlachthof in Kiel geladen war, wurde sogar noch der Fußboden der Kofferaufbauten von unten gewaschen. Es wurde Öl und Wasser kontrolliert und abgeschmiert und so nebenbei gab es denn immer die eine oder andere Holsten-Knolle aus dem Keller von Mama Jacks für ‚nen Fuffziger die Pulle. Nicht selten war das dann der Auftakt zu einer feucht-fröhlichen Runde durch die örtlichen Kneipen.

Des Sonntag abends um zehn ging es dann vom Hof. Und immer stand der Alte dann vor seinem kleinen Holzhaus, um das Spektakel zu erleben, wenn die Züge grollend anrissen und mit Gebrüll die enge Wohnstraße entlangwalzten. Sie waren noch lange zu hören. Auch wenn ich nicht mit aufsteigen konnte, bin ich doch so manches Mal mit dem Fahrrad zu dieser Stunde dorthin geradelt, um dieses Schauspiel mit zu erleben. Ganz friedlich haben wir uns dann noch ein Bierchen gegönnt, während die Züge langsam aus dem Hörbereich entschwanden.

Geladen wurde auf den Schlachthöfen im gesamten Schleswig-Holstein: Hauptsächlich in Kiel, aber auch in Lübeck, Rendsburg, Schleswig, Husum und bisweilen auch Flensburg. Überwiegend fuhren wir Schweinehälften, eingehängt in Fleischbahnen, die unter der Decke montiert waren. Das war also durchaus eine wackelige Angelegenheit, denn die Hälften schaukelten gern mit, wenn sich der Wagen in Kurven zur Seite neigte. Stabilisatoren gab es noch nicht. So musste man schon vorsichtig sein bei Seitenwechseln in Autobahnbaustellen und ähnlichen Absätzen auf der Fahrbahn. Da hat so mancher Fleischzug schon mal seine Unterseite gezeigt. Zusammen mit Werner Wolff aus Stockelsdorf fuhren wir jede Woche die Schweine für den Krupp Konsum, einer Lebensmittelkette, die zum Krupp Konzern gehörte. Viele Reisen gingen zu den Fleischwarenfabriken im Versmolder Raum. Kritisch waren die Lieferungen nach Wuppertal oder Köln. Auf den Zuwegungen waren recht niedrige Brücken zu unterfahren, die im beladenen Zustand noch passierbar waren, mit dem leeren Gespann aber teils weiträumig umfahren werden mussten, da der Motorwagen mit den entlasteten Federn nun mit dem Heck zu hoch stand, immerhin 3,60 m. Als Rückfracht luden wir Trockeneis in 10-kg-Blöcken aus Dorsten, Zucker oder Salz in Umkartons mit 10 oder 20 kg. Die kamen über Rollenbänder aus irgendwelchen Luken geschossen und mussten per Hand im LKW aufgeschichtet werden – von uns natürlich. Paletten waren damals noch ein Fremdwort. Es wurden immer Partien von 20 Tonnen geladen. Das gab dann pro Mann 5 Mark. Für einen Kieler Isolierbetrieb holten wir häufig Rockwool aus Gladbeck. Nachdem die Ballen in den Kofferaufbauten verstaut waren – man gerade eben 3 Tonnen, war dringend eine Dusche gefällig, denn der Juckreiz war kaum auszuhalten. Beim Entladen ging es dann noch einmal los. Aber immerhin gab es damals schon für jeden 20 Mark. Das war aber eine stolze Entlohnung, für die man gern die Juckerei in Kauf nahm. Wenn nichts am Markt war, fuhren wir zum Autohof in Gelsenkirchen, meldeten uns in der Laderaumverteilung mit unserem Fahrtenbuch an und dann begann das Warten. Meist kam nichts Lohnendes dabei heraus, höchstens ein ordentlicher Brand, denn Kollegen, mit denen man das Latein der Straße diskutieren konnte, gab es dort immer in ausreichender Zahl.

Egal ob Hin- oder Rückfahrt, am Autohof Mellendorf kamen wir nicht vorbei. Dort wurde immer eingekehrt. Und wenn man Pech (oder Glück) hatte, dann stieß man auf die Fleischkutscher der anderen schleswig-holsteinischen Firmen, allen voran Willy Bruhn und Erich Westphal. Dann war ein Fest kaum noch zu vermeiden. So saßen wir wieder mal in einer fröhlichen Runde beisammen, als draußen ein etwas ramponierter Mercedes LP 334 laut hupend auf den Parkplatz fuhr. „Hansi“ stand oben am Kofferaufbau. Und schon kam er fröhlich lachend in die Gaststube in Unterhemd, Lederhose (mit Hosenträger natürlich) und barfuß in Clogs. Das war „Bodder-Hansi“, ein Unikum, das bei Gustav Lütgens in Lohn und Brot war , einem Fuhrmann, der für die Firma Rotermund unterwegs war und Butter und Käse aus Dänemark holte. Hansi ging keinem Getränk aus dem Weg und so ging sein Macker sogleich an einen anderen Tisch, bestellte sich sein Abendbrot und verschwand stillschweigend in der Koje. Er wusste ja aus Erfahrung, dass Hansi wohl erst wieder in den frühen Morgenstunden den Weg zurück ins „Hotel Daimler“ finden würde, dann aber bestimmt nicht mehr fahrtüchtig wäre. So erging es allerdings auch noch einigen anderen aus dieser erlauchten Runde. Auch das war nicht ungewöhnlich.

Der damalige Pächter des Autohofs hatte drei Töchter, die alle in der Kneipe mithalfen. Die jüngste der Mädels servierte, die mittlere stand am Tresen und die älteste der drei recht nett anzuschauenden Grazien pflegte die Kontakte zur Kundschaft, ganz speziell zu den Chauffeuren der Firma Otto Ohl, die mit ihren „Stern“-Zügen dort regelmäßig von der Bildfläche verschwanden – gleich einem Bermuda-Dreieck für Lastwagen. Nun ist das Geschäft mit dem Zeitschriften Transport aber doch recht sensibel und Unregelmäßigkeiten werden nicht toleriert. Schließlich wurde es Otto Ohl zu bunt und gegen Androhung der fristlosen Kündigung wurde es den Chauffeuren untersagt, künftig Mellendorf anzulaufen. Die Kontaktpflege ging denn doch etwas zu weit.

Das andere Fahrtgebiet der Firma Jacks war Berlin. Fast täglich machte sich mindestens einer der Züge auf den Weg aus dem Holsteinischen über Hamburg, Geesthacht, Lauenburg durch die DDR in die ehemalige Reichshauptstadt. Schlachthöfe, Fleischwarenfabriken und die Läger der Einfuhr-und Vorratsstellen, in denen die Notrationen eingelagert wurden, mussten beliefert werden. Vor dem Grenzübertritt wurde sich erst noch einmal bei Susi in der Baracke gestärkt. Das Angebot war einfach: Bockwurst, Kaffee, Asbach. Anschließend dann zum westdeutschen Zoll eher eine Formsache – und dann rüber zur Grenzkontrollstelle Horst. Nur ganz selten kam es zu Boshaftigkeiten, den die Jacks-Züge waren nicht nur farblich auffällig, sondern auch sonst gut angesehen. Nur einmal kam es zu einem Zwischenfall, der mir das Herz in die Hose rutschen ließ. Ein junger Grenzer, den wir bisher noch nicht kannten, kam mit einer Holzleiter auf die Rampe, um den Zug zu kontrollieren. Stirnseitig sind an den Kofferaufbauten jeweils zwei Lüftungsklappen, da frische Schweinehälften ohne Kühlung gefahren werden, aber Frischluft brauchen. An der rechten Kofferwand befindet sich vorn noch eine kleine Luke, durch die Trockeneis in ein Gebläse geworfen werden konnte, um bei Bedarf zu kühlen. Und die wollte der forsche Mann nun genauer untersuchen. Horst: “Du kannst da gerne reinschauen, aber stell nicht die Leiter an meinen Wagen.“ „Das geht Sie einen feuchten Kehricht an.“ Sprach’s und machte Anstalten, die Leiter anzustellen. „Ick segg di dat noch ein Maal: Stell din Ledder nich bi mi an’n Waagen!“ Der Grenzer bleibt unbelehrbar, stellt die Leiter an und schafft zwei Stufen, bis ein gewaltiger Schlag von Horst ihn mitsamt seiner Leiter über die Rampe fliegen lässt. Das kann nicht wahr sein, durchfährt es mich. Jetzt gehen wir bestimmt in den Bau. Folter, Hinrichtung, was wird aus uns? Ich bin völlig verängstigt. Plötzlich springt eine Tür auf, zwei Grenzer sammeln ihren Kollegen ein und schaffen ihn fort. Sofort drückt uns ein anderer Beamter unsere Papiere in die Hand: „Fahren Sie! Fahren Sie! Machen Sie die Rampe frei.“ Wer hätte das gedacht.

Genau gegenüber der Westberliner Zollabfertigung in Staaken befand sich der „Hamburger Rollkrug“, zu dem wir eine innige Liebe entwickelt hatten. Horst übertrug diese Zuneigung allerdings auch gleich auf des Wirtes hübsches Töchterchen. Bei Ein- und Ausfahrt war hier im Krug eine Pflichtpause einzulegen – mal kürzer, mal eben auch sehr lang. Spannend war es, wenn sich einer der Zöllner in den Krug verirrte, um sich mit einem zumeist alkoholischen Getränk zu erfrischen. Das war gar nicht mal so selten. Dann allerdings lief Horst zur Höchstform auf. Zumeist waren wir ja auch gerade am Tagen und so wurde der Zöllner erstmal mit einem Freigetränk geködert. Dann aber begann das schnöde Spiel. Weitere Getränke wurden wohl angeboten, gar in Reichweite plaziert, aber der Verzehr wurde nur gegen ein Pfand freigegeben. So wechselte dann gern mal die Mütze den Besitzer, es folgte der Schlips, es wird warm: Wozu brauche ich ein Jacket. Na und die Hose hält auch ohne Koppel.Was bleibt noch anzubieten? Dienstausweis? Naja, wir waren ja keine Unmenschen. Am nächsten Tag konnten sie sich den ganzen Krempel wieder abholen und wir waren längst über alle Berge. Denn die DDR-Grenzer interessierte es herzlich wenig, wenn man etwas angetütert in ihr Hoheitsgebiet einfuhr. Manchmal bekamen sie ja sogar etwas ab, wen wir beispielsweise bei Noris Schnaps als Rückladung auf dem Wagen hatten. Wie gesagt, Die Jacks-Züge waren gut angesehen.

Ach, es hätte ewig so weitergehen können. Meine Welt wurde nur durch die Schule und durch meine Eltern gestört. Inzwischen hatte mein Alter ein Einfamilienhaus gebaut, da die Kneipe inzwischen verpachtet war. Mein Zimmer war im Keller und mein Fenster war sozusagen ungewollt mein eigener ebenerdiger separater Ein- oder besser Ausgang. Ich war ständig unterwegs, häufig fuhr ich Sonntag abends mit auf irgendeine kurze Tour nach Cloppenburg oder Vechta – in der Schule waren sie ja sowieso froh, mich nicht zu sehen. Oder mir war schon nach der zweiten Stunde schlecht (dann brauchte man kein Entschuldigungsschreiben). Dann fuhr ich flugs mit dem Fahrrad die Moorteichwiese runter zum Schlachthof, Autos an die Rampe setzen, Anhänger ankuppeln oder auch Kaffee und Asbach einnehmen in der Schlachthofkneipe. Da kam ich ja gerade wieder richtig. Der Alte (Erich Jacks) saß wieder mal in der Kantine mit zwei Schlachtern und – wie sollte es anders sein – bei Kaffee und Asbach. Es müssen wohl schon einige über den Tisch gegangen sein, der Alte hatte schon einen recht roten Kopf und da es schon nach Mittag war, wollte er wohl langsam den Heimweg antreten. „Gut dat du kümmst, Klaas, hol maal min Waagen von de Waschanlaag.“ Okay, die Esso, zu der er immer seinen Opel Kapitän zur Wäsche brachte, war zwar nicht direkt am Schlachthof, sondern etwas weiter südlich an der Bahnhofstrasse. Es waren also gut 300 m auf öffentlicher Straße zurückzulegen, ehe man in das hintere Tor des Schlachthofes einbiegen konnte. Zwar hatte ich noch keinen Führerschein, aber Fahren konnte ich ja. Also holte ich natürlich mit stolz geschwellter Brust den Kapitän ab, bog in die Einfahrt zum Schlachthof ein und musste dann unter einem Schleppdach durchfahren, welches mit Stahlsäulen gehalten wurde. Dort war es nass, zudem hatten wir Frost und ruckzuck fing die Karre an auszubrechen. Nur knapp gelang es mir, den schweren Säulen auszuweichen. Das Donnerwetter wäre wohl auch nicht auszudenken gewesen.

Aber auch das sollte noch kommen. Ich war gerade 18 geworden und hatte meinen Führerschein der Klasse 3 ausgehändigt bekommen: Endlich legal unterwegs. Wir waren dabei, die LKWs auf dem engen Platz in der Wendenstraße zu waschen. Ein Motorwagen war fertig und der nächste Zug , der noch auf der Straße parkte, sollte nun auf den Waschplatz vorrücken und der fertig gewaschene sich wieder hinten anschließen. Also enterte ich den sauberen Motorwagen, und fuhr mit ihm zu der etwa 500 m entfernten Kopperpahler Allee, um ihn umzudrehen. Zu dem Behufe bog ich vorwärts ab, legte den Rückwärtsgang ein… und dann gab es einen häßlichen Ruck. Ein Renault 4CV war mir beim Abbiegen unter den LKW gefahren. Mit sehr gemischten Gefühlen stieg ich aus. Der Fahrer sah mir wohl das Alter gleich an und schaltete sofort: er wollte die Polizei rufen. Das hätte ja gerade noch gefehlt. Gerade erst den Lappen in der Tasche und gleich wieder abgeben, weil der LKW wohl etwas zu groß war für die Klasse 3. Also gab ich die Schuld an dem Ereignis zu, obwohl ich mit dem LKW noch gestanden hatte. Damit war die Hürde mit den Uddels umschifft, war doch mein Kontrahend froh, nun seinen Schaden nicht selbst bezahlen zu müssen.. (Übrigens fahre ich seitdem immer rückwärts in die Seitenstraße, wenn ich umdrehen will, damit ich die gefährliche Stelle immer vorn im Blick habe, wenn es aus der Straße wieder heraus geht). Es wäre nur besser gewesen, ich hätte dem Alten von dem Vorfall erzählt. Davon erfuhr er allerdings erst drei Tage später durch die Versicherung. Mit dem Erfolg, dass sich unser Verhältnis erheblich abkühlte. Zudem hatte auch Horst mittlerweile gekündigt. Gleichzeitig wuchsen die Unannehmlichkeiten in der Schule bedenklich an und gipfelten dann nach zwei Ehrenrunden mit dem Rausschmiss. Da war die ohnehin schon mit Tadeln gespickte Karriere dann zu Ende. Keine Schule wollte mich mehr. Nur eine fand sich noch bereit, mich aufzunehmen : Das Gymnasium Wyk auf Föhr – ständig wegen Schülermangels von der Schließung bedroht. Naja, und die Insellage spielte gewissen Familienangehörigen natürlich auch gehörig in die Hände.

Die Faszination blieb. Kann ein Mensch sich das Hochgefühl vorstellen, in einer offenen Werkstatt zu stehen und den Duft von Öl, Schmiere und Diesel zu erschnüffeln? So manches Mal stand ich auf Föhr, meiner neuen Heimat, abends heimlich in der Werkstatt des einzigen Fuhrunternehmers Kehding, um die entwöhnten Sinne wieder erblühen zu lassen. Aber es sollte noch Jahre dauern, bis dieser Duftcocktail wieder zum Alltag werden konnte. Erstmal musste nun der Schulabschluß her. Raus in die Ferne ging nun gar nichts mehr. Vom Festland trennte mich nun die Nordsee, die nur mittels Fähre überwunden werden konnte. Die einzigen großen Lastwagen auf der Insel – Kehdings Dreiachser Henschel und die 520er MAN– sahen zwar wie Laster aus, aber Kipper waren noch nie so mein Ding.

So nutzte ich dann die nächsten Herbsterien auf dem Festland, um meinen alten Lehrmeister Horst L. aufzusuchen, der mittlerweile bei Willy Bruhn in Stellung war. Dort fuhr er einen der drei sogenannten Exportzüge, das waren Wagen, die nicht im nationalen Verkehr liefen. Sie holten Plastikrohstoffe aus Ludwigshafen von der BASF für Schweden oder Norwegen. Als Rückfracht wurden dann Papierrollen für die Druckindustrie geladen. Zur Bewährung bekam er als Neuling zunächst einen Mercedes L 1418 (der durchaus in Skandinavien mit einem Sattelauflieger mit Dollyachse gefahren wurde. Aber nur kurz währte dieses Intermezzo, dann gab es einen splitterneuen Zug: Magirus 250 D 22 (Dreiachser) mit Dreiachsanhänger – von der Größe her für deutsche Straßen nicht ganz legal, deshalb wurde der Motorwagen später gegen einen gebrauchten Büssing BS 16 mit Luxusfahrerhaus von Büssing & Sohn ausgetauscht. Und damit gingen wir dann zusammen auf Tour.

Ich stieg in Kiel zu, es ging mit der Stena nach Göteborg. Die 8 Flaschen Schnaps, die als Nebenverdienst immer mit mussten, hatte Horst schon auf dem Platz in der Legienstraße in die doppelte Rückwand der Geschirrkiste versteckt. Die Einfuhr von Alkohol nach Schweden war damals strengstens verboten und wurde mit hohen Geldstrafen und Schwedenverbot geahndet. Andererseits brachte der Stoff jedoch ein angenehmes Sümmchen, mit dem sich trefflich leben ließ. So nahm man eben gern das Risiko in Kauf. Die Überfahrt mit der Fähre verlief angenehm. Es gab einige nette Drinks (damals ging das noch) und da die Jungs von Bruhn auf dem Dampfer bei den Mädels von Service bestens bekannt waren, wurde so allerhand herumgealbert.

Nach der Ankunft in Göteborg ging es zur Stadt hinaus zunächst über die alte Reichsstrasse 2 zu einer großen Tankstelle für den Schwerverkehr. Sie gehörte einem Fuhrunternehmer mit Namen Stig Andersson. (dem Mann, der dann in Hisings Backa 1968 die größte Tankstelle in Schweden nach amerikanischem Vorbild eröffnete: Stig’s Center. Dort traf man sich, die Tanks wurden randvoll gefüllt (damals war der Diesel in Schweden erheblich billiger als bei uns), Öl geprüft, Informationen ausgetauscht, Essen gefasst. An der großen Pinnwand im Ruheraum hinter dem Verkaufsraum hingen die Bilder von Lastwagen, deren Chauffeure hier eine karge Pause verbracht hatten – ganz wunderbar anzusehen. Schnell noch ein Telefonat zum Empfänger unserer Spritladung, um die Ankunft anzukündigen, dann ging es ins Land hinein. Schweden hatte gerade auf Rechtsverkehr umgestellt und überall an den Straßen standen noch die blau/gelben Tafeln mit dem „H“ für höger = rechts, um die Autofahrer daran zu erinnern, dass es nunmehr auf der rechten Fahrbahnseite vorwärts ging.

Irgendwann auf freier Strecke war es dann soweit. Nun sollte ich weiterfahren. Horst macht es sich auf dem Beifahrersessel bequem und etwas nervös ob dieses raschen Entschlusses nahm ich hinter dem Lenkrad Platz. Oha, die fast 40 Tonnen brauchten den ersten Gang zum Anfahren, Kuppeln, Leerlauf, kuppeln, Zweiter – immer schön langsam, damit die Drehzahl passt, denn so ein Büssing kommt nur behäbig von Touren. Jetzt in den Dritten – das Getriebe antwortet unwirsch mit Knarren, Kupplung hoch, Zwischengas, Kupplung, wieder das häßliche Knarren, verdammt. „Hol an! Fang noch maal an.“ Also anhalten, wieder Erster, Pause, Zweiter Pause, Knarren, verflucht, wo ist der Dritte? Ich wühlte vergebens im Getriebe, aber die Gasse zum Dritten konnte ich einfach nicht finden. „Gaa weg! Ick heff di hundert maal seggt, dat du tokieken schalst.“ Damit war die Sache abgetan. Horst nahm wieder das Ruder in die Hand. Eine zweite Chance gab es nicht. Ich hatte vergessen, dass ich immer mit offenen Augen dabei sein musste, weil Horst nie etwas erklärte. Vom Zweiten aus schob er den Schaltknüppel zunächst ganz rechts rüber, wie um die Gassen zu sortieren, holte ihn dann wieder nach links zurück bis zur Sperre zur ersten Gasse und schob ihn in den Dritten. Das war also das Geheimnis: das extrem lange Schaltgestänge war einfach nur total ausgeschlagen.

Es begann schon zu dämmern und wir strebten weiter in Richtung Norden. Wir fuhren mit dem Lastzug bis auf den Hof des schwedischen Kunden. Und schon kam eine Volvo Amazon angefahren. Aber was war nun los? Das war ja ein Polizeiwagen Und es entstieg ihm ein waschechter Polizist in Uniform! Hatte uns jemand verpfiffen? Hatten sie uns nun „bi de Büx“? Aber, aber, wer wird denn gleich das Ärgste denken. Die herzliche Begrüßung ließ doch auf etwas anderes schließen: Das war der Abnehmer für unseren Schnaps. Wie sich herausstellte, war er Streifenpolizist und seine Frau bei der weiblichen Kripo. Deswegen kann man doch wohl trotzdem etwas mit dem guten deutschen Sprit handeln, der doch erheblich höher im Kurs stand, als der allgegenwärtige „Hjembrand“, der in fast jedem Haushalt gebrannt wurde. So wurden wir denn fürstlich mit dem Streifenwagen ins traute Heim chauffiert. Die Dame des Hauses hatte als Nachtmahl „Pytt y Panna“ zubereitet – meine erste Begegnung mit dem schwedischen Nationalgericht. Dazu gab es dann erstmal ein Bier. Und bei einigen lockeren Drinks wurde es dann ein ganz kommodiger Abend.

Als Rückladung nahmen wir dann Papierrollen mit. Die wurden liegend von hinten geladen und nach vorn gerollt. Die obere Lage wurde dann mit langen Eisenstangen nach vorn gehebelt – kein einfaches Unterfangen, da war Armschmalz gefragt. Damit die oberen Rollen besser zu hebeln waren, wurden in die Zwischenräume der unteren Lage speziell zugeschnittene Hölzer eingelegt. Zurück ging es wieder mit der Stena direkt nach Kiel. Hier war für mich die Reise zu Ende. Wehmütig schaute ich dem Büssing hinterher, bis er meinen Blicken entschwand. Südwärts. Das war dann für lange Zeit auch die letzte Ferntour, die mir vergönnt sein sollte.